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Country Music von Simon Stephens

Jamie Carris (18 J.) will weg. Die Vergangenheit hinter sich lassen.Anfangen zu leben. Unabhängig sein und frei. An die Küste fahren. Ein Haus machen. Seine Freundin Lynsey Sergeant (15 J.) soll mitkommen. Vielleicht haben sie ja mal ein Kind. Die Kraft, seine Träume umzusetzen, hätte er. Doch der Protagonist von Simon Stephens‘ COUNTRYMUSIC muss schmerzlich erfahren, dass er seine Zeit nicht zurückdrehen kann. Frust und Wut treiben ihn an, entladen sich unkontrolliert in Gewaltausbrüchen. Schließlich muss er fast 20 Jahre seines jungen Lebens im Knast verbringen: War ja klar. Willkommen im Kreis der ewigen Verlierer? Bei COUNTRY MUSIC hat Wiederkehr Prinzip. Der Sog von Zeit ist brutal und heilsam zugleich. Und die Frage, worauf wir unser Leben aufbauen, kann immer wieder neu verhandelt werden. (Text: Antonia Tretter)

»Jamie. Ich weiß nicht mal, was du gemacht hast. Nicht so richtig. Du tauchst einfach auf. Drückst auf deine bescheuerte Hupe. „Steig ein. Wir verpissen uns.“ Und ich: „Alles klar, Jamie. Schönes Auto.“«

11./12./13. Februar 2014 | jeweils 20 Uhr
Studiobühne twm München
Ludwigstraße 25, E 012

Mit: Rachel Backes, Paul Lonnemann, Julian Neckermann, Géraldine Raths
Regie: Sarah Clemens
Assistenz: Marion Schütz
Dramaturgie: Antonia Tretter
Licht / Ton: Ina Rudolf und Leonie Thies
Technische Leitung: Wolf Markgraf

 

 

NACHLESE
von Sarah Clemens

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I love you in all the dangerous ways / keep my heart in shape for your love / As it turns out I’m a beggar for it / I will exchange for it / All this time you were serious / Now it’s obvious. / He says to me: “lonliness is universal / so be happy / when you cry.” / And yet / I crave to be alone / still I can’t be sure. / At dusk I let the light out and it exhales / I let the camera fall to the floor / Mirror gawking / I’m starring at your face / The things that brought you here / Now want you more. Sarah Jaffe ›Two Intangibles can’t be had‹

 

Protagonist JAMIE CARRIS hat den Kunstrasen verlassen. In Gedanken fällt frischer Frühlingsregen auf eine echte Wiese und alles fühlt sich wie neu an. Wenn es doch bloß so einfach wäre… Die Inszenierung wird eingerahmt von zwei Versionen des gleichen Liedes und zwei Fotografien der gleichen Person, die ein Zeitloch markieren, durch das JAMIE – egal, wie sehr er sich das wünscht – niemals fällt. Ein Zeitloch, das Simon Stephens in COUNTRY MUSIC dennoch aufreißt. Die Fotografie am Anfang und am Ende der Inszenierung – die bereits bei der zweiten und dritten Vorstellung gar nicht mehr ausgelöst werden will, egal wie oft der Schauspieler versucht, den Knopf der Polaroidkamera bis zum Anschlag durchzudrücken – steht sinnbildlich für Jamies gescheiterten Versuche, die Vergangenheit ungeschehen zu machen. Gleichzeitig ist sie aber eben auch ein Zeitsprung, eine Vorahnung, eine leise Idee. Befinden wir uns am Ende der Aufführung denn wirklich am Anfang? Oder hat der Rest nie stattgefunden? JAMIE lebt zunächst in der Zukunft seiner Träume. Dann lebt er nur noch in seiner eigenen Version der Vergangenheit, die er verschiebt, aus der er Details löscht, bearbeitet und verflucht, bis dieser Prozess selbst zur eigentlichen Straftat für ihn wird. Wer schenkt ihm seine verlorene Zeit zurück und macht den Mord ungeschehen? Seine Freundin LINSEY nicht. Sein Bruder MATTY nicht. Seine Tochter EMMA erst recht nicht. Was ihm bleibt: Ein Bündel fest geschnürter Vorwürfe, der Seewetterbericht und eine eingerahmte Fotografie aus Margate, dem verfluchten Margate.

Der Schauspieler weiß den ganzen Abend durch, dass keines der Feuerzeuge, die er besitzt, Gas enthält und dennoch lässt er JAMIE immer wieder am Versuch scheitern, sich eine mühsam gedrehte Zigarette anzuzünden. Egal. Auf der Studiobühne ist einfach Rauchverbot. Und in Stephens Text sind eben viele selbstgedrehte Zigaretten. Aber das passt zusammen. Der Wasserkocher im Knast kocht in Echtzeit und der Teetisch rechts am Bühnenrand ist permanent beleuchtet. Eine Konstante. Am Ende gefriert JAMIES Zustand in einer Fotografie. In Zwei Fotografien. Zwei Fotografien verschmelzen zu einer. Mir bleibt eine Erinnerung an drei Aufführungen in Kalt-Warm-Kontrast. Bis das Seil gelöst wird und die Wand fällt.

COUNTRY MUSIC war meine erste eigene Theaterinszenierung neben dem Studium und hat mich als solche knapp ein Jahr lang, in Gedanken durchaus noch länger, beschäftigt. Die Bilder und die Ideen zu COUNTRY MUSIC kamen mir in erster Linie über Musik – jedoch nicht über June Carter, sondern eher über Roots Manuva, Gil Scott-Heron, Eliott Smith und Sarah Jaffe. In zweiter Linie waren die Eindrücke aber eben auch beeinflusst durch die Wut und die Verzweiflung, die Überforderung einer ganzen Generation hoffnungsloser junger Menschen, wie sie sich 2011 – mitten in der ›zivilisierten‹ Gesellschaft – in den riots in Großbritannien auf brutalste Weise verselbstständigt hatte. Hier habe ich JAMIE und dessen materialistisch geprägten Träume und diesen ständigen gesellschaftlichen Zwang, ›mithalten‹ zu müssen, das neuste Smartphone, den neusten Fernseher, das neuste Auto haben zu müssen, wiedergefunden – all die brennenden Häuser in denen JAMIE ›auf den Boden kacken‹ wollte. Das ganze Geld, das er zum Fenster rauswerfen wollte – warum also nicht auch das Fenster zerstören, um an das Geld zu gelangen? Letztlich ist COUNTRY MUSIC jedoch kein Stück über einen durchgeknallten, wütenden, zügellosen Mörder, sondern über einen Sohn, einen Bruder, einen Liebenden, einen Vater, einen einsamen Mann. Und genau das war bzw. ist es, was mich zu diesem Stück hinzieht. Eine melancholische Grundstimmung, eine Ausweglosigkeit auch – oder gerade – dann, wenn die Figuren über Träume und Zukunftspläne sprechen. Und darüber spricht besonders JAMIE sehr oft und sehr viel.

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Fotos © Jean-Marc Turmes

 

 


SHIPPING FORECAST:
And now the shipping forecast, issued by the MET office at 23:43h on Saturday
the 18th. There are warnings of gales in all areas except Trafalgar. The general synopsis at 18:00: Low, 200 north, south of iceland 960, drifting slowly east and filling. Low 250 mil…

DAVID CAMERON:
For too long there’s been a lack of focus…

SHIPPING FORECAST:
…moving steadily north and deepening…

CAMERON:
…but there are pockets of our society that are not just broken, but frankly sick.

REPORTER:
You know, let’s talk about the sickness of 1.4 million children living beyond the poverty line – or 1.1 million children, living with substance-abusing parents.
Shall we talk about that sickness too!?

 

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 Foto von © Franz Kimmel | für eine Auswahl der Generalprobenfotos von Franz Kimmel, {hier} klicken!